Hier erzählt Magda Bils-Trojahn was sie erlebte und fühlte als der 2. Weltkrieg begann. Auszug aus ihrem Buch “Bei uns zu Hause - Die Nazizeit“
Es mag 1936/37 gewesen sein. Ich war ca. 14 Jahre alt und wir spürten: hier rührt sich was.
Für uns Kinder war die Politik kein Thema. Wenn Erwachsene sich unterhielten hieß es sowieso: „Kinder, geht spielen, das ist nichts für euch, na wird’s bald“. Uns war wohl bekannt, daß unser Vater im Orts-vorstand der Zentrumspartei war, die von den Nazis 'die Schwarzen' genannt wurden. Seinem Freund Landsmann hißten die Braunen eine schwarze Fahne auf das Dach seines Hauses. Es war eine Warnung.
In der Schule lehrte man uns die römische, griechische und andere exotische Historik. Deutsche Geschichte wurde nur am Rande erwähnt. Der 30jährige Krieg von – bis, der Deutsch-Französische von – bis, der Erste Weltkrieg von – bis. Eine Lehrerin erzählte, sie hätte von 1914 bis 1918 entsetzlich hungern müssen, ihre Kleidung bestand zum Teil aus Papier und von den Wänden hätte sie Kalk abgekratzt, weil ihr diese Substanz fehlte. Weshalb Deutschland Krieg führte blieb uns so gut wie verborgen. Die Helden wurden erwähnt, Admiral Graf Spee und die Abiturientenklasse, die heroisch ihr Vaterland verteidigte und ....... starben.
Für mich fing die Politik mit Hitler an. Sein Name tauchte immer öfter auf. Das mußte ein Phänomen sein. Er schaffte 7 Millionen Arbeitslose ab. Beim Bau der Autobahnen waren Fabriken, Handwerksbetriebe und andere Unternehmen beteiligt. Die Bevölkerung hatte wieder Arbeit und Brot, blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Kostenlos konnten Arbeiter durch die Organisation KDF – 'Kraft durch Freude' – tolle Reisen per Schiff oder Bahn unternehmen. Ich konnte in meinem Alter nicht erkennen, daß dieser Autobahnbau ausschließlich der Kriegsvorbereitung diente. Freie Bahn für Waffentransporte und anderen militärischen Gütern von West nach Ost, von Süd nach Nord.
Der Bevölkerung wurde erklärt: „Jeder Deutsche soll eines Tages ein Auto fahren können. Für nur 1.000 Reichsmark einen Volkswagen.“ Dazu brauchen wir Straßen; wie glaubhaft alles klang.
Als Helfer in der Not rief Hitler die WHW – das Winterhilfswerk – ins Leben, eingebunden in die NSV – nationalsozialistische Volkswohlfahrt.
Als Danziger, wir wohnten ja in einer Freien Stadt, hinkten wir in allem dem Deutschen Reich etwas hinterher. Doch schnell schlossen sich immer mehr der NSDAP – nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – an, die Kinder gingen in die HJ (Hitlerjugend). Ich war die letzte in der Klasse, die dem BDM – Bund Deutscher Mädchen – beitreten durfte. Ich wollte es, Vater dagegen wehrte sich lange, die Unterschrift für das Aufnahmeformular zu leisten. Neidvoll hatte ich auf andere Kinder geblickt, die von tollen Erlebnissen bei der HJ berichteten. Sie machten Heimatabende, Fahrten, Sport, Spiel und Spaß. Sie wanderten singend durch den Wald, fast jedes Volkslied eignete sich zum Marschieren.
Plötzlich hatte ich Vorteile. Meine Lehrerin, Fräulein Ptach, beurteilte mich in Mathematik mit einem unverdienten Gut, bei politischen Veranstaltungen durfte ich Gedichte aufsagen. Beim BDM wurde ich bereits bei der Einführung (nur weil ich eine Oberschule besuchte) zur Kameradschaftsführerin ernannt. Ich erhielt genug Material, um meiner Gruppe etwas beizubringen. Lehrerin zu spielen machte mir Spaß. Anhand von Landkarten erklärte ich z. B. , wo die Deutschen Kolonien in Afrika liegen. Daß diese Gebiete uns nicht mehr gehörten, wußte ich wohl. Erst später begriff ich, daß Hitler, wenn er redete: „Wir sind ein Volk ohne Raum“, diese zurück erobern wollte, wie Danzig auch. „Ich hole euch heim ins Reich“, versprach er. Gar nicht übel, dachte ich, denn im Reich ist alles billiger. In Marienburg war alles spottbillig. Für die umgetauschten Gulden kaufte ich Salzheringe, 4 Pfennige pro Stück, bei uns zahlten wir 10 Pfg. Für 30 Pfg. erhielt ich „Eau De Toilette in lustigen Flaschen, etc. Seidenstrümpfe (ich schuldete meiner ältesten Schwester noch ein Paar) waren dreimal so billig wie in Danzig. Geschickt inszenierte Lockangebote, wer konnte das durchschauen?
Zurück zur Winterhilfe. Im Religionsunterricht wurde uns gelehrt, daß Jesus die Bedürftigen unterstützte, er vollbrachte Wunder. Das war vor fast 2000 Jahren. Jetzt konnten wir selbst helfen, wahre Wunder zu vollbringen.
Wir sammelten Geld, klapperten mit den Sammelbüchsen und bettelten: „Eine kleine Spende für das WHW“. Wir durchquerten die Gassen, grasten die Bahnhöfe ab, gingen in Geschäfte und zwängten uns in die überfüllten Straßenbahnen. Eine volle Büchse abzuliefern war das Ziel und ein stolzer Erfolg.
Von Schulklassen wurden Tausende Muscheln am Strand gesammelt. Im Zeichenunterricht malten wir sie individuell bunt an. Mit Knetmasse gefüllt, einer Stecknadel eingedrückt, wurde daraus ein Abzeichen, welches wir für 20 Pfg. für einen guten Zweck verkauften.
In der Schule lag morgens auf dem Lehrerpult ein Holzbrett, daß ein Hakenkreuzmotiv zeigte. Daneben lagen schwarze, gold- und silberfarbige Nägel, die wir für 10 bis 30 Pfennig kaufen konnten und ein Hammer. In vorgezeichnete Löcher schlug man die Nägel ein. Es waren Opfer, die gebracht wurden.
Es dauerte viele Wochen bis das Hakenkreuz im Glanz erstrahlte, denn nicht jeder sollte, wollte oder konnte
spenden. Ein bißchen habe ich auch gehämmert, ich wollte nicht nur zusehen. Eine Beurteilung in einem meiner Zeugnisse lautete: „Sie ist selbstlos, hilfs- und opferbereit.“ Hatte das etwas mit dem Hammer zu tun?
In der Handarbeitsstunde strickten wir Söckchen, Handschuhe, Mützen und Jäckchen für Kinder. Niemand sollte frieren. Uns wurde das 'soziale Empfinden für Schwächere' beigebracht. In der HJ bastelten die Jungen Spielzeug zu Weihnachten. Niemand sollte leer ausgehen.
Kaum bemerkt änderte sich so einiges im Alltag. Den Gruß „Guten Tag“ oder „Aufwiederseh'n“ hörten wir immer seltener. In der Öffentlichkeit hieß es: „Heil Hitler“. Als auf der Straße unsere Tante mit diesen Worten angesprochen wurde fragte sie: „Ach' ist der krank“? Wäre das ein Jahr später passiert, wäre sie hart bestraft worden. Das KZ wartete schon!
Ging man in ein Geschäft und grüßte freundlich „Guten Tag“ wurde man mit dem Hitlergruß zurecht gewiesen. Trug ich mein BDM-Abzeichen an meiner Kleidung mußte ich eine Verkäuferin, die ebenfalls so ein Ding trug, duzen. Einen Vorteil hatte dieser Unsinn: Trugen wir eine Uniform, ob Junge oder Mädchen, durfte uns z. B. kein Lehrer, kein Polizist etc. für irgendeine Sache bestrafen.
Denke ich heute darüber nach, war so ein Hitlerabzeichen eigentlich ein Erpressungsmittel. Nazigegner mußten aufpassen, was sie sagten. Kinder zeigten ihre Eltern an, wenn die ihnen verwehrten, z.B. zum Jungvolkdienst zu gehen.
Ich war vier Jahre im BDM, mein Interesse bröckelte so langsam dahin. Ich stellte schulische Forderungen in den Vordergrund. Was wußten die denn schon? Es gab nicht viele Oberschüler. Mit achtzehn Jahren hätte ich eigentlich in die „Deutsche Frauenschaft gemußt, doch die haben mich ganz einfach vergessen.
Magda Bils Trojahn wurde am 15. 09. 1922 in Danzig-Praust geboren
und verstarb am 07.07.2005 in Norderstedt.