Norbert Trojahn - Ein Lorbass aus der aus der Werderstraße
Hier erzählt Magda Bils-Trojahn was sie erlebte und fühlte als der 2. Weltkrieg begann. Auszug aus ihrem Buch  “Bei uns zu Hause - Unsere Spiele!“

Baumschulenbesitzer Franz Rathke

Es war wohl so um das Jahr 1930 herum. Da gab es noch kein Fernsehen, um die Zeit tot zu schlagen.
Wir trafen uns auf der Straße, um zu spielen. Vor Autos und Bussen brauchten wir keine Angst zu haben. Ab und zu kam jedoch ein Pferdegespann vorbei.


Was und womit spielten wir in unserer Freizeit?


Das Danziger Klima war als mild bekannt und in meiner Erinnerung wechselten sich die Jahreszeiten pünktlich ab. Nach diesen richteten sich auch unsere 'Drinnen- und Draußenspiele'. Kaum trocknete die Sonne den Schnee und den Matsch weg, waren wir, wie alle Kinder, in der Wohnung nicht mehr zu halten.




Wir Mädchen konnten endlich den Puppenwagen über eine längere Strecke schieben. 'Mutter und Kind' spielten wir am liebsten. Einen Vater brauchten wir nicht dazu, der war ohnehin im Dienst. Genügte uns eine Puppe nicht, bastelten wir uns welche zusammen. Aus Mutters Wäschekorb nahmen wir Hand- und Geschirrtücher, knuddelten daraus Köpfe und Körper und zogen sie mit Kleidchen, Schürzchen und Mützchen an. Diese 'Selbstgebastelten' wiegten wir zärtlich in den Armen; sie waren uns genau so lieb.


10 PfennigMit Bällen konnten wir eine Menge anfangen. Eine leere, glatte Hauswand gab's überall, die wir für unsere Abzählspiele benötigten. Zehnmal mußten wir den Ball mit der rechten Hand gegen die Wand werfen, neunmal mit der linken, achtmal köpfen. Weiter ging es über die Schultern, mit den Knien, der Brust, den Unterarmen. Dieses Ballspiel dauerte lange und kostete viel Übung. Es dauerte Jahre, bis wir die Fertigkeiten der Großen erreicht hatten.


Eben so gern 'dittschten' wir an der Mauer. Ein Zehnpfennigstück, wir nannten es in Danzig Dittchen, penschten (warfen) wir aus einer bestimmten Entfernung an die Wand. Dort prallte es ab und fiel auf die Erde. Der nächste Spieler mußte mit seinem Wurf versuchen, so nah wie möglich an das Geldstück heran zu kommen. Das war gar nicht so einfach und endete erst, wenn es gelang. Eigentlich war das ein Spiel für Jungen. Doch wenn diese nicht genügend Mitspieler hatten, durften auch wir Mädchen teilnehmen. Als Gegenleistung luden wir sie mal zum Murmelspiel ein. Die dafür benötigten Löcher konnten wir überall buddeln.



'Landmesser' spielten wir auf dem Hof. Mit einem Stock zeichneten wir ein großes Rechteck auf die Erde und teilten dies in zwei gleiche Teile. Jeder besaß nun ein Land und war bemüht, das andere zu erobern. Mit einem Taschenmesser oder spitzen einer Feile stießen wir mit aller Kraft ins feindliche Lager. Die Richtung, die diese Gegenstände anzeigten, wurde abgestochen, waren also erobert. Siegen und Verlieren wechselten sich so lange ab, bis der Verlierer gerade noch so viel Platz hatte, um wenigstens mit einem Fuß auf „seinem Land“ zu stehen. Oft gab's Streit dabei, weil einer die Pfeilrichtung nicht anerkennen wollte.

Mit Seilspringen vorwärts und rückwärts, alleine oder mit anderen, vertrieben wir ebenfalls die Zeit.


Waren die Straßen richtig eben und trocken, jagten wir unserem 'Kullerreifen' hinterher. Ein richtiger Reifen war aus leichtem, bunt angemaltem Holz und hatte einen Durchmesser von 60 Zentimetern. Er war aber nicht so stabil, deshalb gab Vater uns ausgediente Eisenreifen von Holzfässern oder eine Felge von einem alten Fahrrad. . Mit einem Stöckchen trieben wir sie vor uns her, straßauf, straßab, immer bedacht darauf, sie in der Bahn zu halten, sie nicht kippen zu lassen. Auch daraus machten wir ein Rennen, natürlich war der Schnellste der Sieger.


Einen Brummkreisel besaß fast jedes Kind, ein Kegel aus Holz, der an der Spitze eine Stahlkugel hatte. Oben besaß er Rillen, in die ein Band gewickelt wurde. Daran zog man so stark, daß der Kreisel sich dreehte. Mit eine Peitsche wurde er angetrieben. Ziel war, ihn so lange wie möglich laufen zu lassen. Unser Bruder Walter besaß darin eine Fertigkeit, uns gelang kaum was.


Wir spielten auch gerne 'Kaufmann'. Aus Ziegelsteinen und einem Brett bauten wir einen Tresen. Aus Zeitungspapier bastelten wir Tüten, als Klebe benutzten wir Weizen- oder Kastanienmehl. Unsere 'Waren' bestanden aus schwarzem oder weißem Sand, Blätter, Äste, Holz und Steinen. Im Garten und auf dem Hof fanden wir reichlich Dinge, die wir 'verkaufen' konnten. Aus Sand wurde Salz, Mehl, Pfeffer, Zucker, Reis oder Graupen, alles was so an Lebensmittel gebraucht wurde. Waren zum Beispiel die Zweige recht dünn, verkauften wir sie als Zimtstangen, waren es etwas dickere, wurden Wiener Würstchen daraus. Wir boten alles an, was gewünscht wurde, unsere Phantasie kannte keine Grenzen. Bezahlt wurde mit kleinen Steinen.

Wir wogen alles ab, lernten so nebenbei rechnen und das Einmaleins.


Auch „Hopsen“ war sehr beliebt. Wir zeichneten uns nach einem vorgegebenen Schema Quadrate in den Sand, die wir nach einem bestimmten Ritus durchspringen mußten. Ähnlich wie beim 'Dittschen' warfen wir mit Porzellanscherben, die schönsten und buntesten wollten wir erwerben. Im Wiesenweg gab es eine Stelle, die ich 'meine Schatztruhe' nannte. Das zerbrochene Geschirr hatte wunderbare Blumenmuster, oft mit Gold verziert. Ich habe mich damals gefragt auf welche Art und Weise, aus welcher Zeit und von wem sie wohl dahin gelangt sein könnten.


Wenn wir mit vielen Kindern zusammentrafen führten wir Gemeinschaftsspiele vor. Meist den Mädchen vorbehalten sangen wir bei unseren Kreis- und Reigenspielen. Beim Uhrendrehen lachten wir uns kringelig. Jedes Kind wurde kraftvoll geschleudert und plötzlich losgelassen. So wie es zum Stehen oder auch zum Fallen kam, mußte es verharren. Die Haltung der Kinder mit zum Teil ungewollten 'Fratzen' brachte die witzigsten und lustigsten Figuren hervor.


„Himmel und Hölle“: Zwei Kinder schwangen ein anderes und sangen dabei: „Wir wiegen dich in Abrahams Schoß, in Abrahams Schoß, holterdipolter, die Kette reißt los.“ Wir wusten nie, ob wir als Teufel fallen gelassen oder als Engel hoch geschwungen wurden. Laufen, hopsen, springen, wir waren immer in Bewegung, es machte hungrig und müde.


Bei vielen Spielen, wie z.B. Völkerball, kam es auf Wendigkeit an.


„Alle gegen einen“, oder „Alle gegen jeden“: Einer rief: „Wer fürchtet sich vor'm schwarzen Mann?“ Geantwortet wurde: „Niemand“! Da liefen wir aufeinander zu ins entgegengesetzte Feld, darauf bedacht, sich nicht vom „Schwarzen Mann' fangen zu lassen. Taktisch klug und flink mußte man sein.


Waren wir des Wetters oder der Dunkelheit wegen gezwungen im Haus zu spielen, fiel uns immer etwas ein., womit wir uns beschäftigen konnten. Nie wären wir auf die Idee gekommen, unsere Mutter zu fragen: „Was sollen wir spielen, ich weiß nicht, was ich machen soll.“


Da unser Haus ein Mansardendach hatte, war der Dachboden auch dementsprechend groß. Hier oben haben wir getobt, wie es uns gefiel. Vater hatte für uns sogar eine Schaukel angebracht. Herrlich! Wir konnten uns

hierher zurückziehen, wenn wir unsere Ruhe brauchten. Hier war unser Reich. Hier oben bastelten wir, konnten unbehelligt Geschenke zu Weihnachten oder zu Geburtstagen herstellen. Was besonders wichtig war: Wir konnten den Boden verlassen ohne ihn aufzuräumen, denn am nächsten Tag waren wir wieder oben.

Meine Schwester Luzia und ich spielten gern mit Knöpfen. Mutter hatte viele davon. Die großen Knöpfe waren erwachsene Personen, kleinere Kinder, ganz kleine Babys. Dunkle Knöpfe waren Jungen, bunte dagegen Mädchen. Mit diesen Knöpfen spielten wir Schule, Hochzeit, Kirche, was uns eben so einfiel. Neue, hübsche Knöpfe waren 'Kinder aus reichem Hause', lernten gut und waren artig. Abgegriffene und schmutzige dagegen waren Kinder 'armer Eltern', dumm und frech. Wie wir zu dieser Einstellung gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Vorurteile, ein bißchen Erfahrung? Klassenunterschiede, mit diesem Thema hat sich kein Kind beschäftigt.


Die Feuchtwiese am Wiesenweg, auf der wir uns am trockenen Wiesenrand aufhielten, war paradiesisch schön. Barfuß gingen wir in sie hinein und pflückten Blumen. Die Artenvielfalt war groß. Kleeblumen, Knabenkraut, Pechnelken, Sumpfdotterblumen, Hahnenfuß, Wiesenschaumkraut und Vergißmeinnicht wuchsen in bunter Eintracht nebeneinander. Aus Gänseblümchen wanden wir Kränze und schmückten uns. Dabei erzählten wir Geschichten und tauschten Erlebnisse aus.

Ein ebensolches Spielparadies war für uns die Radaune. Dieser Fluß war in unserer Nähe meistens so flach, daß wir ihn mit angehobenen Röcken durchwaten konnten. Er wies Sandbänke aus, darin buddelten wir, bauten Seen und Kanäle, worin wir selbstgefangene kleine Fische schwimmen ließen. Unzählige, aus Heftpapier gefertigte Schiffchen ließen wir davon schwimmen.


Unsere Winter waren schneereich, bei trockener Luft lagen die Temperaturen meist zwischen 20 und 28 Grad minus. Im Jahre 1941 erreichte die Kälte sogar einen Rekordstand von minus 36 Grad. Es war eisig kalt, unsere Wollsöckchen schützten unsere Zehen nicht vor Frostbeulen, mit denen wir jedes Jahre zu rechnen hatten. Aber es gab ja 'Colodium', eine Tinktur , die wir hilfreich einsetzen konnten. Vom Radaunenwall (der Deich) zur Bahnhofstraße hin gab es einen kleinen Rodelberg, den Tepperteich oder Töpperteich?


Dort soll vor unbekannter Zeit ein Töpfer seine Werkstatt gehabt haben. Das größte Vergnügen bereitete uns die Schlittenfahrt. Ein Pferd, mit Glöckchen versehen, wurde vor einen flachen Arbeitsschlitten gespannt, an den wir uns anbandelten. Mitunter zählten wir 20 Schlitten, die sich durch die ebene Landschaft schlängelte. Das Zugpferd lief im Trab, für den letzten der Reihe war es nicht ganz ungefährlich. 'Glittschen' und Schlittschuhlaufen konnten wir teilweise auf der zugefrorenen Radaune, oder auf dem Abwasser, welches von der Zuckerfabrik auf eine Wiese geleitet wurde. Unsere Feuchtwiese stand oft unter Wasser. Wenn das gefror, besaßen wir eine riesengroße, spiegelblanke Eisfläche. In einem Jahr passierte es nach der Schneeschmelze, daß das Wasser nicht absickerte, vor uns lag ein See. Auf diesem paddelten wir im Wäschezuber. Es war ein einmaliger, wunderbarer Spaß.


Unsere Kindheit haben wir lange hinausgezögert, wir genossen sie ausgiebig.


Magda Bils Trojahn wurde am 15. 09. 1922 in Danzig-Praust geboren

und verstarb am 07.07.2005 in Norderstedt.


Quelle: Norbert Trojahn - ehemals Werderstr. 12a