Liebe Danziger Freunde des Forums,
                    eigentlich wollte ich diese Schilderung des Untergangs 1945 schon im März versandt haben. Aber nun kommt es einen
                    Monat später. Es folgen weitere Fortsetzungen.
Zwischen den beiden Häusern in der Pfefferstadt Nr. 53 Hevelius-Gaststätte und Nr. 54 Wohnhaus befand sich ein langer Hausflur. 
                    Dieser hatte Treppenhauslänge. Die Treppe zum Obergeschoß 
                    setzte an der hinteren Hausmittelwand an. Am Ende des Hausflures 
                    befand sich ein Einzel-WC. Die zum Obergeschoß nach links 
                    antretende Treppe war am Antritt ein Viertel gewendelt.
                    Vom Hausflur konnte man außerdem in die Gaststätte im
                    Erdgeschoß eintreten.
                    Der Gaststätten-Haupteingang war direkt von der Pfefferstadt her.
                    Für uns als Kinder war dieses anfangs natürlich ein großer
                    Bewegungsraum, den wir gerne benutzten. Bei Beschuß oder
                    Tieffliegerattacken mußten wir natürlich immer wieder in das erste
                    Kellergeschoß. 
 
                    Der Beschuß und die Angriffe aus der Luft
                    nahmen ab Mitte März 1945 heftig zu.
                    Ich war zur Toilette im Hausflur aufgestiegen und hatte mein
                    Geschäft erledigt und bin ins Kellergeschoß zurückgekommen.
                    Ich war gerade bis zur unteren Treppenstufe gebummelt.
                    Da gab es eine heftige Explosion. Ein Granateinschlag auf der
                    Hauptstraße Pfefferstadt, direkt vor der Haustür zum Flur, war
                    die Ursache. Neugierig stieg ich wieder die Treppe hinauf, um
                    nachzusehen was passiert sei. Ich war noch nicht ganz zur Kellertreppe hinauf gekommen, hörte ich schon Geschrei und Weinen.
                    Die obere Kellertür zum Hausflur war aus den Angeln gedrückt.
                    Mir kam ein blutüberströmter Soldat entgegen, der nach mir zur
                    Toilette gegangen war. Seine Uniform war teilweise zerfetzt.
                    Er stöhnte vor Schmerz. Ich war entsetzt, das hätte mich treffen
                    können, und hockte auf den Treppenstufen hin. Von Unten kam
                    Hilfe um den Verletzten in den Keller hinab zu holen. Da ich ohne
                    Schaden war ließ man mich in Ruhe.
                    Dann hatte ich mich soweit erholt und stieg bis zum Flur auf.
                    Es war ja auch nicht der Erste Beschuß den ich erlebt hatte.
                    Den Schaden wollte ich genauer sehen.
                    Die Haustür zur Straße war völlig zerfetzt. Das Mauerwerk in den
                    Türleibungen auch. Die Trümmer der großen Haustür und des
                    Mauerwerkes lagen, bis zur Kellerabgangstür hineingeschleudert.
                    Die Toilettentür war eingedrückt und zersplittert. Jetzt wurde mir
                    klar, was es für mich für ein Glück war, der da gerade die Toilette
                    verlassen hatte. Inzwischen wurde ich auch schon von meiner
                    Mutter gerufen. Sie suchte mich und war glücklich mich unverletzt
                    in den Keller ziehen zu können. Das war mein letzter Ausflug,
                    vor der endgültigen Stadtzerstörung Danzigs, aus dem Keller
                    ans Tageslicht. Bis auf die Straße sind wir Kinder dann nicht
                    mehr gelassen worden.
                    Nun begann das Inferno. 
                    
                    Die Einschläge der Geschosse und
                    Bomben nahmen zu. Die Anzahl der zuströmenden Menschen
                    von der Straße wuchs. Immer mehr uns Unbekannte flohen zu
                    uns in den Keller. Frauen Kinder und alte Leute, weinend,
                    jammernd, nach ihren Angehörigen suchend, um Wasser bittend,
                    teilweise verletzt und um Hilfe flehend. Jetzt entstand unübersichtliche
                    Enge, Furcht und Luftnot. Mit der "Wohnlichkeit" im Keller war es vorbei.
                    Der Keller wurde zum Durchgangsraum. Gepäckstücke blieben liegen,
                    Unrat wurde zur Plage und es stank nach Menschennot.
                    Teilweise flohen die Menschen auch in das zweite Kelleruntergeschoß,
                    die eigentlichen Luftschutzräume. Zwischendurch immer wieder die
                    Anordnungs-Komandos der Luftschutzwarte, die mit der schon sehr
                    unruhigen Menschenmenge kaum noch fertig wurden.
                    Von der Druckerei Schnelle waren einige französische Kriegsgefangene,
                    vielleicht sechs oder sieben heruntergekommen. Diese durften nicht
                    in die Luftschutzräume tiefer steigen und saßen an einem Tisch. Sie
                    waren sehr um die Kinder bemüht und beschäftigten sie mit
                    Zeichenspielen. Mich hatte einer dieser Männer auf seinen Schoß
                    gesetzt und machte mit mir Profilzeichnungen von Köpfen. 
                    
                    In späteren
                    Jahren und noch heute mit meinen Enkeln, komme ich in Erinnerung
                    an Ihn, immer wieder hierauf zurück.
                    Die Erschütterungen der Bombardierungen wurden sehr bedrohlich,
                    Die gemauerten Kellerdecken erzitterten unter dem Beschuss.
                    Von den Decken rieselte der trockene Mörtel als Sand und Staub auf uns
                    herab. Nun flohen auch wir, unsere Mutter mit uns Kindern und ihre
                    Schwester, Tante Minna, in den Tiefbunker in die zweite Tiefetage.
                    Es ging eine breitere Betontreppe hinab.
                    Von den Franzosen haben wir nichts mehr gesehen, dieses hat mich
                    immer beschäftigt.  Wo sind sie geblieben?
                    
                    
                    Auf der Abgangstreppe und im unteren Luftschutzraum entstand
                    starkes Gedränge. Von unserem Gepäck und Bettzeug hatten wir
                    nichts mitnehmen können. Es ging alles sehr hastig. Die Sorge um
                    die Pistole und die Munition war ich auch los, sie wurden ein
                    gerechtes Opfer des Unterganges. - Kinder weinten und Menschen
                    riefen nach ihren Nächsten, bis sich alle etwas verteilt hatten.
                    Vom Haupteingang Pfefferstadt nahm ebenfalls der Zustrom,
                    der vor dem Beschuß flüchtenden Menschen zu.
                    Viele hatten Verwundungen und mußten versorgt werden.
                    Es war ein ständiges Gedränge von einem Bunkergewölbe ins
                    nächste. Und immer wieder versuchten die Luftschutzleute die
                    durcheinander flutenden Leute zu ordnen.
                    Nach einiger Zeit war mein Vater in Eisenbahneruniform, von seinem
                    Einsatzort ODZ (Bahnbetriebswerk Olivaer Tor Danzig), zu uns in
                    den Bunker gekommen. Unsere Eltern hatten sich ja die Kontakthaltung genau so gedacht. Später hat uns Papa erzählt, daß er mit
                    dem Befehlszug bis auf die Halbinsel Hela gefahren sei. Danach
                    mußte er Pendelverkehr auf der Halbinsel machen. Militärgut,
                    Flüchtlinge und Versorgungsgüter fahren.
                    Die Lok wurde von den Pionieren gesprengt und unser Vater,
                    ist mit anderen Eisenbahnern, per Fischerboot nach Danzig
                    zurückgebracht worden. Er hat sich natürlich dazu auch gemeldet.
                    Denn wie schon gesagt war der Kontakt unserer Eltern vereinbart.
                    Das Ausharren hatte sich nun schon gelohnt. Immer wieder mußte
                    er zum ODZ und wurde dort als Verteidigungsbesatzung eingeteilt.
                    Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee waren noch drei
                    Eisenbahner dort. Im allgemeinen Rückzug der deutschen Wehrmacht,
                    verständigten sie sich darauf, ihre Familien aufzusuchen.
                    Mein Vater erzählte mir später, daß er stolz darauf gewesen ist,
                    im Krieg nie auf einen Menschen geschossen zu haben.
                    In den Tagen zwischen dem 20. und 28. März 1945 sind wir nicht
                    mehr aus dem Tiefbunker herausgekommen. Die Verhältnisse
                    im Bunker wurden immer katastrophaler.
                    Der Hauptausgang zur Pfefferstadt, die Treppenanlage neben der
                    Druckerei Schnelle, wurde durch einen Bombentreffer verschüttet.
                    Die Leute im Eingangsbereich sind umgekommen. Es gab eine
                    gewaltige Erschütterung bei der Explosion. Nur durch den Verschluß
                    der stählernen Luftschutztüren der einzelnen Bunkergewölbeabschnitte,
                    wurde der Luftdruck gemindert. Dieser Einschlag löste erneut eine Panik
                    aus. Alle drängten zum noch intakten Ausgang Baumgartsche Gasse.
                    Die Menschen verloren jedes geordnete Verhalten. Es war auch keiner
                    mehr da, der kommandierte. Schreien, weinen, stürzen, einer über den
                    anderen steigend, war die Folge. Vor unseren Augen riß sich, ein in
                    brauner Naziuniform gekleideter Mann, diese vom Leibe und drängelte
                    in Unterwäsche davon. In den über uns liegenden Häusern brannte es
                    überall. Frischluft über die Handpumpen herein zu drücken war unmöglich
                    geworden. Es kam nur noch beißender Qualm. Im Gewölbe stand schon
                    rauchhaltige Luft. 
                    Auch wir fünf Personen, die Eltern und wir drei Kinder
                    wurden im allgemeinen Gedränge bis zur Betonaufgangstreppe zur
                    Baumgartschen Gasse geschoben. Tante Minna hatten wir verloren.
                    Im Treppenbereich standen Wasserfässer, in die die Flüchtenden Decken
                    eintauchten, um im Schutz der Nässe aus dem Ausgang zu entkommen.
                    Draußen tobte Beschuß und Feuersbrunst.
                    Unser Vater zog unser Familienknäuel unter die Betonaufgangstreppe.
                    Wir hatten uns, Vater- Mutter- und ich, an den Händen verklammert und
                    unsere beiden achtjährigen Zwillinge Ursel und Ruth, in die Mitte gedrängt.
                    Unter der geneigten Treppenplatte lagen auch schon Verletzte. Sie
                    stöhnten und waren auch teilweise apathisch. Der Strom der flüchtenden
                    Menschen dauerte doch sehr lange. Unter der Treppe hatten wir wenigstens
                    Ruhe vor dem entsetzlichen Druck der angstvoll in Panik flüchtenden
                    Menschen. Am Ausgang gab es Verletzte durch Feuer, Beschuß und
                    einstürzende Mauern. Diese wurden wieder in den Bunker herab gebracht.
                    Die in Panik geratenen Flüchtlinge schoben sich gegenseitig ins Feuer.
                    Die zwischen den einzelnen Bunkerabschnitten befindlichen Stahltüren
                    wurden nur geöffnet, wenn sich noch Jemand bis zur Tür schleppen konnte
                    und klopfte. Nach längerer Zeit, bestimmt mehr als 24 Stunden, beruhigte
                    sich die wilde Flucht der Bunkerinsassen. Es war, wie unser Vater später
                    bestätigte, ein Entkommen ohne Gefahr zu verbrennen nicht mehr möglich.
                    Draußen lagen bergeweis die verbrannten Leichen, was wir beim späteren
                    Verlassen auch gesehen haben. Mein Vater hat die restlich im Bunker
                    Verbliebenen unter 100 Personen eingeschätzt.
                    Im Bunker waren auf dem Betonboden Lattenroste ausgelegt.
                    Von den Wasserfässern war der Untergrund durchnäßt und verschmutzt.
                    Es stank nach Urin und Kot. Es gab nur noch Kübel als Toilette, infolge der
                    versperrten Möglichkeit durch das Inferno, außerhalb des
                    LSR (Luftschutzraum), war eine Entsorgung nur in die rückwärtigen
                    Bunkerabschnitte möglich. Dorthin wo auch die Leichen geschafft wurden.
                    Inzwischen formierte sich unter den Insassen des LSR eine neue Ordnung.
                    Einige Erwachsene organisierten eine Hilfsgruppe, die für Versorgung und
                    Schutz so weit als möglich arbeitete.
                    Wir hatten an einer Seite einen Platz auf dem Boden gefunden.
                    Nur was wir auf dem Leib trugen, war uns bei der Panik noch erhalten
                    geblieben. Unter totaler Angst sind wir vor Erschöpfung und Ermüdung
                    immer wieder eingeschlafen. Wach wurden wir auch immer wieder, durch
                    neue Not, die um uns herum stattfand und größere Detonationen , in der
                    um uns sterbenden Stadt Danzig.
                    In einer Ecke hatte man einen Vorhang mit Bettlaken erstellt. Die Hebamme
                    Frau Liß hatte dort eine Entbindende zu betreuen. Stöhnen, schreien und
                    Geschäftigkeit weckten immer wieder Aufmerksamkeit. Schließlich gab es
                    Babygeschrei.
                    Ich war ja damals schon aufgeklärt, durch das Gesundheitsbuch meiner
                    Mutter, das ich zu Hause immer heimlich abschnittsweise gelesen hatte.
                    Vor allem der Teil der geschlechtlichen Aufklärung und Geburtendarstellung mit Klappbildern, hatte mein Wissen um diese Dinge erweitert.
                    Schon in Praust hatte ich Aufsehen erregt, als unsere Nachbarin Frau
                    Prohl 1943 schwanger war und ich den Kindern der Nachbarschaft
                    Aufklärung gab: Frau Prohl bekommt ein Kind. Prompt kam die
                    Beschwerde zu meiner Mutter. Keiner konnte sich dieses erklären und
                    ich schwieg. Es gab ein Mädchen Gudrun Prohl etwa im Jahre 1944.
Im Bunkergewölbe hatte sich inzwischen im oberen Luftraum eine Rauchschicht gebildet. Rauch und Gestank führten zur Atemnot. Viele Kleinkinder
                    sind gestorben. Auch das neugeborene Bunkerkind konnte nicht überleben.
                    Die Mutter hatte keine Milch. Irgend jemand hatte noch eine Dose
                    Kondensmilch für die Mutter, aber das Baby war nicht zu retten.
                    Wir hatten nichts mehr zum Trinken. Von den schwitzenden Betonwänden
                    haben wir die Feuchtigkeit geleckt. Auch Lebensmittel und Brot waren
                    nicht mehr vorhanden.
                    Licht gab es nur spärlich, es war ein gespenstischer grauer Dunst.
                    Immer wieder waren Erschütterungen vom Beschuß und von den
                    einstürzenden Wohnhäusern zu spüren. In der benachbarten
                    Volksschule Baumgartsche Gasse sollen Panzerfäuste gelagert worden
                    sein, die in der Feuersbrunst explodierten.
                    Die inzwischen arbeitende Hilfsgruppe hatte in den weiter entfernt
                    liegenden Gewölbe-LSR nach Lebensmitteln gesucht.
                    Es kamen Rotkohlkonserven zu uns und so bekam noch jeder
                    etwas zugeteilt. Die Leichen wurden in die nicht besetzten
                    LSR-Bereiche verbracht. Am Ausgang in der Baumgartschen
                    Gasse mußte ständig geräumt werden. Die immer wieder
                    herunterstürzenden Trümmer wurden von den Männern beseitigt.
                    Zu diesem Zweck hatte man einen Rohrhandlauf von der Wand
                    demontiert und ihn als lange Stange zum Stoßen benutzt.
                    Wie bei dem Märchen die sieben Schwaben, die gemeinsam
                    den Spies führten. Das draußen wütende Feuer, herumfliegende
                    brennende Balken und große Hitze, waren eine bedrohliche
                    Lebensgefahr. Immer wieder mußten sie sich nach Innen
                    zurückziehen. Die Männer schützten sich mit feuchten Tüchern
                    und wir hatten kein Wasser mehr. Es wurde gezielt Urin gesammelt,
                    damit die tapfer kämpfenden etwas Schutz hatten und ihre Tücher
                    damit nässen konnten. Auch wir unten in der Tiefe von mindestens
                    5,00 m, in den LSR mußten uns gegen Rauch schützen, mit in Urin
                    getränkten Lappen. Von den Luftschutzleuten oder Parteigängern
                    war nichts mehr zu spüren. Ein Paar gab sich als Kommunisten aus.
                    Sie waren mit halblangen Lederjacken bekleidet. Dieses ist mir
                    deshalb in Erinnerung geblieben, weil sie diese zuerst ausziehen
                    mußten, als die ersten Russen im Bunker erschienen.
                    
                    
                    Es war der 28. März 1945. Die Russen kommen! So hieß es damals.
                    Es waren die Sowjetsoldaten oder auch Rotarmisten, in der offiziellen
                    Sprache, die ich weiter benutzen will. Die Sowjetsoldaten waren im
                    Gesicht und an ihren Wattejacken schwarz verschmiert. Sie rochen
                    nach Alkohol. Ihr erstes Interesse war deutsche Soldaten zu suchen.
                    Aber da waren nur noch einige Schwerverwundete. Zuerst nahmen
                    sie alle Männer heraus von 14 - 70 Jahren, die entsprechend kräftig
                    eingeschätzt wurden. Sie haben dann Frauen und Kinder heraus
                    gewiesen. Dawei! Dawei! Das waren die ersten russischen Worte.
                    Wir wurden aus dem Bunker gedrängt. Oben blendete uns das
                    Tageslicht, das wir 10 Tage nicht gesehen hatten. Der Bunkerausgang
                    war nur noch ein Schuttloch von weniger als 2 m Durchmesser.
                    Die Gasse war verschüttet. Seitlich auf einer betonähnlichen Fläche
                    lagen verbrannte, schwarz verkohlte Leichen. Es sah teilweise aus
                    wie ein Haufen Kohle, mit ein paar Knochenresten.
                    Von den draußen mit Maschinenpistolen stehenden Sowjetsoldaten,
                    wurden wir in Richtung Paradiesgasse mit Dawei Dawei gewiesen.
                    Die Trümmer waren zum größten Teil schon zusammen gefallen.
                    Rauch lag über der Stadt. Von Straßen war nichts mehr vorhanden.
                    Es tobte noch der Kampf und vereinzelt brannten Trümmerreste.
                    Die deutsche Front befand sich zu diesem Zeitpunkt an der Mottlau.
                    Wir taumelten über die rauchenden Trümmer im krachenden Beschuß.
                    Die Sowjetsoldaten hatten auch Flammenwerfer. Sie trugen diese auf
                    dem Rücken und gaben in Richtung Mottlau, aus der geschossen wurde,
                    Feuerstöße ab. Es war furchterregend. Überall lagen tote deutsche
                    Soldaten und auch Zivilisten. Deutsche Gefangene wurden von
                    Sowjetsoldaten abgeführt. Einige von ihnen waren verbunden.
                    Wie wir, unsere Mutter mit uns drei Kindern, in diesem Beschuss
                    durch Rauch und Flammen über die Trümmer gekommen sind
                    bleibt unbegreiflich. Das Schlimmste war unser Durst. Als wir fast
                    an der Alten Mühle waren, entdeckte ich Sowjetische Soldaten,
                    die in ein offenes Trümmerloch einstiegen und mit Flaschen im Arm
                    wieder herauskamen. Ohne mich weiter vorzusehen stieg ich hinterher.
                    Es war ein halb offenes Kellergewölbe in dem zerborstene Flaschen
                    herumlagen. In noch einigermaßen erhaltenen Gefachen lagen ganze
                    Weinflaschen. Ich nahm mir drei davon und wollte heraus.
                    Da erwischte mich ein Sowjetsoldat, nahm mir eine ab, zerschlug
                    den Flaschenhals am Mauerwerk und probierte mit einem Schluck
                    den Wein. Er fluchte etwas und warf die angeschlagene Flasche fort.
                    Oh je war das ein Verlust, so nahe am durststillenden Getränk zu sein.
                    Wieder stieg ich zurück und konnte mit zwei weiteren Flaschen im Arm
                    meine Familie einholen, wir versteckten unseren Schatz unter unserer
                    verdreckten Kleidung. Unsere Mutter brachte es irgend wie fertig eine
                    Flasche zu öffnen und wir vier hatten erst einmal etwas Flüssiges.
                    Wobei uns allerdings der Alkohol zu schaffen machte.
                    Inzwischen waren wir vor der Großen Mühle in Richtung Töpfergasse
                    abgebogen und mußten uns in einer ausgebrannte Schule sammeln.
                    Es ging ein paar Stufen zum Souterrain herunter.
                    Die gemauerten Decken waren erhalten. Im Eingangsbereich waren
                    in einer Ecke die Gefallenen der Sieger gestapelt, aufgeschichtet
                    über Kreuz wie Holzscheite. Der Boden war mit Blut verschmutzt.
                    Über diesen Leichenberg war ein Plane übergehangen, aber sie
                    reichte nicht bis zum Boden und so waren Köpfe und Beine zu sehen,
                    teilweise zerschmettert. Jetzt war klar warum sowjetische Gefallene
                    nicht im Trümmerfeld herumlagen. 
                    
                    Nach dem Zusammenbruch der
                    Kommunistischen Ordnungen in den 90ziger Jahren, ist bekannt
                    geworden, daß die oberste sowjetische Führung einen Befehl erlassen
                    hatte, der veranlaßte, daß Verluste der ruhmreichen Sowjetarmee
                    nicht sichtbar sein und fotografiert werden durften.
                    Wir waren so apathisch, daß wir nicht mehr auf solche schrecklichen
                    Anblicke mit Übelkeit reagieren konnten.
                    Im Untergeschoß kauerten schon mehre Frauen mit Ihren Kindern
                    und alte Leute. Einige weinten schon, denn hier wurden alle nach
                    Wertsachen gefilzt. Die Soldaten suchten nach Schmuck und Uhren.
                    Manche der Plünderer hatten mehrere Uhren am Arm. Unsere Mutter
                    hatte nur noch ihren goldenen Ehering am Finger und ein sowjetischer
                    Soldat fummelte ihr schon mit einer Pistole vor der Nase herum.
                    Sie bekam den Ring nicht sofort vom Finger. Wir Kinder hatten große
                    Angst um unsere Mutti und haben geschrien. Nachdem sie ihren Finger
                    noch einmal mit Speichel genäßt hatte, bekam der Soldat endlich seine
                    Beute und ließ ab von uns. Nachdem nun alle dort Zusammengetriebenen
                    ausgiebig durchsucht waren, hieß es wieder Dawei, Dawei, ab in Richtung
                    Hauptbahnhof.
                    Wir stolperten wieder müde und hungrig über das Trümmerfeld, an
                    vielen Leichen vorbei. Vor dem Hauptbahnhof war der große
                    Sammelplatz für Zivilpersonen. Die gefangenen deutschen Männer
                    in Zivil, standen in Blöcken zusammengestellt und bewacht. Alles
                    schrie durcheinander, denn Frauen und Kinder suchten nach ihren
                    Männern. Auch wir entdeckten unseren Vater, konnten aber nicht
                    näher an ihn herankommen. Die Wachen trieben uns zurück.
                    In der Ansammlung vor dem Bahnhof fanden wir auch Tante
                    Minna wieder. Sie war noch aus dem Bunker entkommen,
                    wurde aber verschüttet und ist durch deutsche Soldaten
                    geborgen worden. So hat sie überlebt und hat den LSR unter
                    dem Bahnsteig erreicht. Sie soll eine Schreckrose gehabt haben; -
                    was das auch immer war? 
                    Zum Glück fanden wir auch noch
                    Oma & Opa Völz, die ebenfalls im LSR unter dem Bahnsteig
                    sicher das Inferno gesund überstanden haben.
                    Es muß der späte Vormittag gewesen sein, als die Gefangenenkolonnen
                    in südlicher Richtung abgeführt wurden. Wir haben unseren Vater aus
                    den Augen verloren und ihn erst 3 Monate später wieder gefunden.
                    Alle anderen Frauen, Kinder und alte Leute, sind in nördlicher Richtung
                    Olivaer Tor durch Posten mit Dawei, Dawei und Waffenbedrohung
                    abgedrängt worden. Es fielen auch Schüsse.
                    Aus der nun wachsenden Entfernung war das Grollen des Gefechtslärmes
                    ständig zu hören. So zog eine lange Menschenkolonne in Richtung
                    Langfuhr, aus der zertrümmerten & rauchenden Stadt Danzig aus.
                    Wir mußten am linken Straßenrand bleiben. Es ging über die große Allee.
                    Die aufgehängten deutschen Marinesoldaten, die mein Vater noch
                    gesehen hatte, hingen nicht mehr an den Alleebäumen.
                    Es waren die als Fahnenflüchtige von der deutschen Militärjustiz
                    Hingerichteten. In der Straßenmitte zogen die nachrückenden
                    sowjetischen Truppen mit Panzern, Lastwagen mit angehängten
                    Geschützen, Granatwerfern, aufgesattelten Stalinorgeln und dazu
                    am Alleerand mit Pferden bespannte Wagen, mit aufsitzenden
                    Soldaten. Wahrscheinlich der Nachschubtroß.
                    Die Straßen waren im Bereich der ziehenden deutschen Zivilbevölkerung, in Abschnitten mit Schlagbäumen als Straßensperren
                    versehen. Hier wurden alle wieder kontrolliert. Ein neues Wort drang
                    an unsere Ohren : idi zuda, komm her!
                    Dann kam die Aufforderung nach dem Dokument. Unsere Mutter
                    hatte wie durch ein Wunder noch eine Reichskleiderkarte mit Pleitegeier,
                    Adler mit Hakenkreuz, in ihrer Manteltasche. Wir wurden von einer der
                    Soldatinnen kontrolliert und registriert und über den Adler wurde nun
                    ein Stempel mit Hammer & Sichel aufgedrückt und mit Schriftzeichen
                    versehen, die wir noch nicht kannten. Ich hatte nach der Räumung
                    des Luftschutzbunkers in der Baumgartschen Gasse keine Kopfbedeckung mehr. Da es kalt war hob ich eine blaue Eisenbahnerfeldmütze auf, die ein schwarz gelacktes Schild hatte. Mit dieser
                    Kopfbedeckung fiel ich auf und wurde gefragt :
                    Du Gitler ? Hitler konnten sie nicht aussprechen. Nein stammelte ich
                    vor Angst und warf die Mütze weg. Später habe ich dann irgend einen
                    alten Wollsocken als Kopfbedeckung gefunden.
                    Auch auf den Kreuzungen der Straßen standen weibliche Posten mit
                    umgehängter Maschinenpistole. Sie regelten den Verkehr der vielen
                    Militärkolonnen mit roten und grünen Handfähnchen, die als
                    Achtungszeichen senkrecht in die Höhe hielten und dann in die Richtung
                    wiesen, zu der die Durchfahrten frei gegeben wurden.
                    Am nächsten Kontrollpunkt hieß es wieder idi zuda Dokument. Nun reichte
                    das Vorzeigen der abgestempelten Kleiderkarte und Dawei ging es weiter
                    in nördlicher Richtung.
                    Wir gingen immer an den Militärkolonnen entlang, mit einmal flog uns
                    ein Komisbrot zu. Die auf einem Pferdefuhrwerk sitzenden Soldaten
                    hatten es den beiden Schwestern zugedacht, was sie mit Gestik und
                    malinki andeuteten. Nun konnten wir endlich etwas essen und dazu
                    noch einen Schluck von dem Wein trinken. Wir waren ganz schön
                    benebelt und sehr müde.
                    Unsere Mutter kannte sich in Langfuhr aus. 
                    
                    Vor dem Bau unseres
                    Einfamilienwohnhauses in Praust, haben unsere Eltern ab 1929
                    dort im Bardewickweg gewohnt, wo ich dann am 01.05.1932
                    geboren wurde. Sie führte uns von der Großen Allee fort in
                    Richtung Flugplatz. Auf Nebenstraßen, die auch mit Sperren
                    versehen waren, an denen wir kontrolliert wurden, kamen wir
                    spät Nachmittags nach Glettkau an den Strand in die Dünen.
                    Hinter einem Bretterzaun, fanden wir eine Mulde, in der wir etwas
                    ausruhen konnten und einschliefen.
In meiner nächsten eMail berichte ich weiter, von der hierauf folgenden schrecklichen Nacht und unseren Zwangsaufenthalt in Oliva.