Liebe Danziger Freunde des Forums,
spät Nachmittags am 28.03.1945 kamen wir nach Glettkau an den Strand in die Dünen. Hinter einem Bretterzaun fanden wir eine Mulde, in der wir etwas ausruhen konnten und einschliefen.
Wir wurden durch zu uns herüber schallende russische Laute geweckt. Nun wurden wir Zeuge der Aufstellung einer Stalinorgel.
Im Bretterzaun war eine Lücke und hinter der Düne, von uns aus nach unten schauend, wurden einige LKW-Abschuss-Rampen, aufgebaut. Die Lkw's mit den aufgesetzten offenen Gestellen, in denen die Raketen-Geschosse lagen, wurden abgestützt.
Die Abschußneigung eingestellt und die Sowjetsoldaten sprangen in Deckungslöcher mit den Zündkabeln für den Abschuß.
Unerfahren wie wir waren, erschraken wir über den Höllenlärm der nacheinander abzischenden Raketen. Sie stiegen als Feuerbälle in den Himmel, wurden dann dunkel weil der Antrieb ausgebrannt war und kippten in ihr Ziel ab.
Die Richtung war Neufahrwasser.
Vor Einbruch der Dunkelheit zog unsere Gruppe, Mutti, wir drei Kinder, Oma & Opa und Tante Minna in Richtung Oliva in ein Villenviertel.
In einem ausgeräuberten Haus hatten schon andere Flüchtlinge Zuflucht gesucht. Es war immer die Tendenz in Gruppen, auch mit uns unbekannten Menschen, zusammen zu kauern und sich wie ängstliche Tiere gegenseitig zu wärmen.
Es war ja noch März und Feuer durfte man nicht machen.
Ich muß hier eingeschlafen sein, bis ich durch Geschrei und fluchende Russen geweckt wurde. Es fielen auch einzelne Schüsse.
Die Sowjetsoldaten hatten die im dunkeln im Hause kauernden Menschen entdeckt. Sie leuchteten mit ihren amerikanischen Dynamotaschenlampen in alle Räume und Ecken des Hauses.
Die Lampen machten durch die Handdruckbetätigung ein surrendes Geräusch und so konnte man sie kommen hören. Durch den Wein benebelt und übermüdet wußte ich erst gar nicht was geschah.
Die Russen riefen fluchend nach Frau, Frau komm.
Unsere Frauen sprangen auf und los ging die Flucht aus dem Haus heraus in die umliegenden Gärten. Und so landeten wir nach einiger Zeit in dem Schloßpark Oliva, an den Rand eines Schilfbewuchses, zu einer anderen Gruppe. Zwei Frauen mit 4 Kindern. Sie lagen im feuchten gefrorenen Gras auf zwei Decken und wir kauerten uns dazu.
Unseren Opa hatten wir verloren. In einiger Entfernung war ein Wasserteich mit einem betonierten Zulaufkanal zu einer alten Wassermühle, was ich am nächsten Tag erst alles genauer erkundigt habe. Man hörte Wasser rauschen im Mühlenbauwerk. - 1998 habe ich mir diese Stelle nocheinmal angesehen und konnte von der Straße aus den Höhenunterschied zwischen Stauteich-Spiegel und unterem Abflussbach sehen. Mindestens 2,50 m war den Höhenunterschied. - Ich bin dort wieder vor Erschöpfung eingenickt. Ein richtiges Schlafen war das nicht. Von der Hauptstraße Oliva - Zoppot waren die Militärbewegungen hörbar. Von dort kam auch ein schwacher Lichtschein zu uns herüber, oder war es der Mond?
Die beiden uns fremden Frauen, haben sich leise mit den Unsrigen über die Brutalität der Russen unterhalten. Da habe ich erstmals etwas von Vergewaltigungen gehört. Bis dahin habe ich als Dreizehnjähriger das Geschrei der Frauen und die Brutalitäten der Sowjetsoldaten bei den Bedrängungen nicht eindeutig erkennen können. Ich habe es mehr als Beraubung angesehen.
Plötzlich sprangen die Frauen auf. Die beiden fremden Frauen liefen mit ihren Kindern schon in Richtung Betonkanal und sprangen platschend ins Wasser. Unsere Tante Minna hatte meine beiden Schwestern an der Hand und rannte hinterher. Unsere Mutter und die Oma schrien auf.
Unsere Oma war die Einzige die zurückblieb. Ich bin von dem Aufschrei wieder wach geworden, sprang auf und rannte zu den planschenden und Schreienden im Kanal. Es waren nur noch meine Zwillingsschwestern und eine Frau mit einem etwa 10 Jahre alten Jungen zu erkennen.
Unsere Mutti war in ihrer Not zwar den Kindern hinterher gesprungen, wollte sie aber nur irgend wie retten. Sie klammerte sich an den Mauerrand.
Die Breite des Zuflußkanals vom Teich zur Mühle war nicht so groß.
Ich
konnte hinüber springen und meine Schwestern zur anderen Uferseite schubsen. Zurück gesprungen habe ich sie dann beide und unsere Mutti, triefend naß, herausgezogen. Oma kümmerte sich um die Geretteten.
Im Wasser befand sich noch der Junge laut um Hilfe schreiend. Er konnte schon schwimmen und die Mutter brachte es nicht fertig ihn unterzutauchen.
Und schon gar nicht ihm ein Taschentuch in den Mund zu stopfen. Er streckte mir seine Hände entgegen und ich zog ihn heraus. Inzwischen waren durch das Geschrei Russen am Kanal erschienen und leuchten mit Laternen. Die Frau mit dem Jungen verschwand sofort in der Dunkelheit.
Unsere Oma hatte Mutti und den Schwestern in die zurückgebliebenen Decken umgehangen und sie entfernten sich schon vom Schreckensort.
Tante Minna, eine fremde Frau und drei Kinder waren ertrunken und nicht mehr zu entdecken. Nun bin ich meinen Angehörigen hinterher.
Im Dunkeln sind wir herumgeirrt bis wir in einer noch gut intakten Villa Unterschlupf fanden und uns verkrochen haben.
Oma hatten wir in der Hast auf unserer kurzen Flucht im Dunkeln auch verloren. Groß rufen war nicht möglich. Denn überall waren Russen unterwegs und aus allen Ecken jammerten und schrien Frauen und Kinder.
Wir hatten Glück und fanden ein Zimmer mit viel Papier in einer Raumecke.
Es war ein Bibliothekszimmer, aus dem die plündernden Sowjetsoldaten bei ihrer Suche nach Beute, alle Zeitungen etc herausgerissen hatten.
Auch die
Regale waren zertrümmert. Unsere Mutter verkroch sich in ihrer nassen Kleidung unter dem Papier. Die beiden Schwestern in die feuchte Decke gehüllt davor sitzend, mit Papier eingedeckt, so daß die Köpfe noch herausschauten. Ich kauerte mich davor hin, immer bedacht das die Russen erst einmal unsere Mutter nicht entdecken konnten. Sie kamen an unserem Platz oft vorbei, leuchteten mit ihren surrenden Dynamotaschenlampen in unsere Kindergesichter, murmelten etwas von malinki und zogen weiter. Immer auf der Suche nach Frau.
Im Hause ertönten Schüsse, Frauen wurden gewaltsam an uns vorbei gezerrt. Im spärlichen Licht ihrer Dynamolampen konnte man sehen, wie sie an den Kleidern der abgeführten Frauen rissen und auch freie Körperteile waren zu erkennen. Kinder schrien voller Angst nach Ihren Müttern. Ich war hellwach geworden und nur immer bedacht unsere Mutti versteckt zu halten. Wenn sie wieder mit ihren surrenden Dynamolampen zu uns leuchteten, hielt ich schon mein Gesicht in den Schein der Lampe.
Meine Schwestern und auch ich hatten uns in die Hosen gemacht.
Wir haben in unserem Dreck, ungewaschen und zerlumpt sicherlich auch schrecklich gestunken. - Nach einigen Nachtstunden ließ das Gesuche nach. Einige Frauen kamen jammern und winselnd, an uns vorbei, zurückgekrochen. Sie suchten im Dunkeln nach Ihren Kindern oder Angehörigen. Inzwischen hatte ich mich auf dem Papierhaufen so auf das Versteck meiner Mutter gelegt, daß ich mich in Sicherheit fühlend einschlief. Am Morgen als die Sucherei der Russen abgeebbt war, verzogen wir uns aus dem Haus. Das Papier hatte uns allen gut getan und uns gewärmt und etwas getrocknet. Wir fanden ein etwas abgelegenes leeres Häuschen mit einer Küche. Es war wie überall, alles zerwühlt und teilweise zerschlagen. Ein Wassergefäß wurde gefunden und ich machte mich allein auf den Weg zum Park mit der Mühle. Nach einiger Suche fand ich dorthin. Auf einem Hof am Wege, hatte ich eine Wäschestange gefunden und mitgenommen. Damit stocherte ich nun in dem Kanal herum um Tante Minna zu finden. Aber es war aussichtslos und ich ließ ab davon, schöpfte mein Gefäß voll Wasser und zog mich zur Familie zurück. Unsere herumirrende Oma fand ich auch noch und war darüber voller Freude.
Sie hatte nach Opa gesucht der war aber nicht zu finden.
Zur Trauer um Tante Minna blieb in dieser Not nicht viel Zeit, lagen doch überall noch Leichen von Mensch und Vieh herum. Von den Tierleichen war überall etwas abgeschnitten worden und die hungernden Menschen haben davon gegessen, auch wir. Mit dem Wasser haben wir uns etwas gereinigt.
Unsere Mutter hatte Zündhölzer und auch etwas Malzkaffee gefunden und auf dem gekachelten Herd Feuer gemacht. Zum Trinken wurde etwas von dem Teichwasser abgekocht und wir hatten nach längerer Zeit etwas warmes zu trinken. Nun hieß es aber schnell verschwinden. Der rauchende Hauskamin könnte uns verraten und Russen anziehen. Draußen war immer noch der Lärm der fahrenden Militärkollonnen zu hören. Abschüsse der Artillerie und Stalinorgeln, die sicher quer ab in Richtung Heubude feuerten.
Auch Flugzeuggebrumm und das ferne Grollen der Front. - Wir hatten die beiden grauen Miltärdecken und haben uns auf einen Friedhof verzogen.
Dort war es erst einmal ruhig.
Auf einem mit Hecken umwachsenem Grab haben wir fünf uns auf Reisigunterlage zusammengekauert und gegenseitig gewärmt. Hier habe ich dann völlig übermüdet wieder etwas geschlafen.
Lange war uns die Ruhe sicher nicht vergönnt, denn noch mehr fanden den Weg zum Friedhof und so wurden es zu viele. Die Russen suchten wieder nach Frauen. Als wir dann weiter zogen, waren auch schon wieder Schreie von Russen, Frauen und Kindern zu hören. Wir versuchten nach Westen in die Waldgebiete der auslaufenden Danziger Höhe zu gelangen.
Aber die schon erwähnten von bewachenden Kontrollposten besetzten Sperren ließen uns weder nach Süden, noch nach Westen ausweichen.
So sind wir weiter in Richtung Zoppot nach Norden gezogen und haben noch in Oliva, in einer Siedlung am Waldrand Unterschlupf gefunden, in irgend einem Kellerverschlag der teilweise beschädigten Häuser.
Unser Hunger nahm zu. Oma und Mutti suchten irgend welche Kräuterreste zusammen auf den wir herum kauten. Hier und da fanden sich eine Kartoffel oder Rübe. Kochen konnten wir nicht. Erstens fehlte uns eine Kochstelle mit Feuerungsmaterial und zweitens mußten wir immer auf der Hut sein, damit uns die Russen nicht belästigen konnten.
Am Rauch hatten sie schnell heraus wo sich noch Bevölkerung aufhielt.
Die Mutti und Oma blieben im Versteck und ich zog los essbares zu suchen. So kam ich in Oliva zu Dr. Oetkers Mondaminfabrik an der Chausse nach Zoppot. Aufmerksam wurde ich durch viele Frauen und Kinder, die im Graben saßen und nach dem großen Loch in der Backsteinfassade einer Halle schielten. Die vom Beschuß eingedrückte Hallenwand war weis verstaubt und es lagen auch Mondaminpäckchen verstreut herum.
Aber wie bei allen "Lebensmitteldepots" war der Zugang vesperrt durch einen Stacheldrahtzaun, mit einem Wachposten davor. Der ging auf und ab.
Und plötzlich um eine Ecke der weiterführenden Fabrikmauer. War es Absicht?
Hatte er Mitleid ? Jedenfalls alle sprangen auf, schlüpften durch den nicht sehr engen Drahtverhau und sammelten Mondamintüten. Auch ich war mit dem eindrigenden Menschenpulk dabei. Vier oder fünf Pächchen hatte ich mir unters Hemd eingesteckt. Plötzlich wurde vom Posten geschossen. Er mußte seiner Obrigkeit sicherlich Wachsamkeit verkünden. Ich war schnell heraus und floh in eine Schrebergartenanlage. Die anderen Frauen und Kinder hörte ich noch angstvoll schreien und auch waren weitere Posten erschienen und schossen.
So blieb ich hinter einem noch grauen Strauch einige Stunden liegen, bis ich in der Abenddämmerung abzog.
Mutti und Oma waren in Sorge wo ich blieb.
Schüsse hatten sie gehört und nun war die Freude groß, daß ich noch essbares mitbrachte. Unsere Oma hatte auch gleich Ideen das Mondaminpulver in Flinsen zu verwandeln.
Auf unserem Auszug aus dem zerstörten Stadt Danzig am 28.03.1945 bin ich bei einem kurzen Abweichen von unserem Wege, in Langfuhr einem alten Mann begegnet. Er lag ganz friedlich auf dem Rücken auf seinem umgeschallten Rucksack, als ob er schlafen würde. Er war tot.
An ihm waren keine Verletzungen erkennbar. Da ich damals total ausgehungert war, interessierte mich sein Rücksack. Wie ich es damals noch aus meiner konfiermandlichen Erziehung kannte, habe ich für Ihn ein Vater Unser gebetet und habe in seinem Rucksack nachgeschaut.
Ich fand ein halbes Schraubgefäß Schmalz und ein Leinensäckchen mit geschliffenen Bernsteinanhängern. Beides nahm ich an mich. An diesen Opa habe immer wieder denken müssen und noch heute habe ich ein paar kleine Bernsteine, die mir ihn in Erinnerung erhalten. - Oma backt aus dem mitgebrachten Mondaminpulver, etwas gesalzen, kleine Flinsen von denen wir einige Tage gegessen haben.
Aus Oliva kamen wir, aufgrund der geschilderten Sperrmaßnahmen der Sowjetarmee, nicht weg.
Unsere Mutti mußte sich ständig verstecken, damit sie von den immer umherziehenden, betrunkenen Soldaten nicht vergewaltigt wurde.
Nach Beute wurde ständig gesucht. Oma hatte dann die beiden Schwestern bei sich und ich ging auf Nahrungssuche. Ständig wechselten wir unsere Verstecke. So fanden wir in einem Garten einen flachen Erdbunker. In diesem haben wir auch übernachtet.
Es lagen Laub und ein paar alte Lumpen auf dem Boden. Aber oh je, was hatten wir uns eingehandelt, Wanzen, Läuse und Flöhe.
Zu Hunger und Durst kam nun noch die Ungezieferbekämpung.
Bis zu diesem Tage kannte ich soetwas gar nicht.
Bei meinen Streifzügenmußte ich auch sehr umsichtig sein.
Die örtlichen Komandanturen griffen Frauen und Kinder über ca 10 Jahre auf, und brachten sie zum Arbeitseinsatz fort.
So ist es mir passiert, daß ich in einer Gruppe war, die Leichen und Leichenteile mit Erde zuschaufeln mußte. Die sterblichen Überreste waren in Planen gesammelt, wurden mit LKW heran gefahren und an irgend einem Bombentrichter abgeladen.
Dann wurden sie ohne weitere Kontrolle verscharrt. Das war der schlimmste Einsatz, den ich zwangsweise mitmachen mußte.
Aus heutiger Sicht ist mir klar, daß die Militärverwaltungen dieses zur Seuchenbekämpfung tun mußten. So sind dann einige Wochen später alle Zivilpersonen gegen Seuchen geimpft worden.
In Praust, in der Turnhalle an der großen Schule, wurde jeder mit einer Spritze in den Arm und einer in die Brust geimpft.
Mehr als die Hälfte war so geschwächt, daß sie zusammenbrachen.
Auch ich lag einige Zeit vor der Tür, bis ich davonlaufen konnte. - Nun weiter zu der Zeit im April 1945 in Oliva.
An einem Tage sollte ich Glück haben. In einem Garten entdeckte ich eine Gruppe Sowjetsoldaten, die um ein Feuer hockten und auf einem Lagerfeuer entwas kochten. Das hatten sie immer an sich.
Sie gingen nicht ins Haus an einen Herd, sondern mit ein paar Steinen wurde eine Feuermulde gelegt. Holz wurde aus den Häusern heraus gebrochen und so ein Feuer zum Wärmen und Kochen unterhalten.
Sie hatten in ihrer Ausrüstung große Pfannen und ein gesäubertes Benzinfass für Kaschagerichte, Zusammengekochtes aus allem was sich erbeuten ließ. Sehr oft Rüben, mit ein paar Fleischfetzen drin und pampig mit Mehl angebunden. Ich schlich mich an und hockte mich in ihre Nähe. Erst einmal ausprobieren ob sie mich erdulden würden. Wenn sie mit "malinki" reagierten war alles gut, aber wenn sie fluchten du Gitler, dann mußte ich mich schnell verziehen.
Dann war auch keine Aussicht auf Essensabfälle.
Also an der großen Bratpfanne wurde ich als malinki geduldet.
Es duftete herrlich nach Wurst und ich war schon ganz wild davon etwas zu ergattern. Mir kam ein Offizier gerade recht.
Alle standen auf und der Offizier hatte etwas zu verkünden.
Sie standen mit dem Rücken zum Feuer. Nun konnte ich nicht mehr aushalten und griff in die Pfanne, hatte zwei Wurststücke erwischt, mir die Händ verbrüht und steckte die Beute in meine Hosentasche. Dabei habe ich dann auch noch eine Blase auf dem Oberschenkel bekommen. Nun zog ich ab. Morgen würde ich diese Gruppe sowieso nicht mehr wiedersehen, Oma kühlte meine lädierten Finger mit Mondaminmehl.
Bei einer anderen Aktion stand eine Feldküche in einem Garten.
Davor lagen großmaschige Jutesäcke mit Kartoffeln und Zwiebeln.
Aber schon als ich nur in die N ähe kam, verscheuchten mich die Sowjetsoldaten mit "du Gitler". Also war nichts drin. - Mir fiel was anderes ein uns ich holte meine achteinhalbjährigen Zwillingsschwestern. Von einer Hecke aus konnten wir unser "Objekt"
gut einsehen. Die beiden Schwestern bekamen Anweisungen was zu tun sei. Sie hatten Kleider an, darunter warme Unterschlüpfer mit Gummizug über den langen Winterstrümpfen.
Sie sollten hinschlendern, sich auf die Fruchtsäcke setzen und durch öffnen der weitmaschigen Jutesäcke Kartoffeln und Zwiebeln in ihre "Pluderunterhosen" stecken.
Sie wurden von mir vorgeschickt, es Klappte und die Zwillinge wurden mit "malinki" empfangen. Sie haben es geschafft und brachten von allem etwas nach Hause.
Wir haben auch täglich Lagerstätten des sowjetischen Militärs, wenn sie nach einer Rast weiterzogen, abgesucht und hier und da ein Stück Brot oder anderes gefunden. So sind wir durch den April gekommen.
Gegen Ende des Monats April 1945 lockerten sich die Durchlassvorschriften an den Straßensperren und es wurde möglich nach Süden abzuwandern. Wir setzten uns in Richtung Praust in Bewegung.
Am Westrand des zerstörten Danzig. Hauptstraßen meidend wegen Belästiigung durch sowjetische Soldaten der rückwärtigen Einheiten.
An der neuen Radaune entlang. Hier hatten wir Wasser.
Hinter Ohra, nach dem Verschiebebahnhof der Eisenbahn, gingen wir den Schienen in Richtung Praust nach. Zugverkehr war noch keiner aufgenommen. Die Gleise waren noch teilweise durch den Krieg beschädigt. Verstreut und an einigen Stellen massiert waren frische Gräber zu erkennen.
Die sowjetischen mit einem roten Obelisken aus Holz und darauf ein Stern. Andere mit Keuzen, - namenlos. Pferde nur mit einem Erdhügel überschüttet, so wie wir es auch in Oliva machen mußten. Und wie viele Tote Menschen, deutsche Soldaten und Zivilisten in den Trichtern verscharrt worden sind, nur um sie unter Erde zu bekommen, hat niemand gezählt.
Als wir hinter St. Albrecht waren schlug uns das Herz schon höher, denn die Parkanlgen des Praustfelder Gutes kamen in Sicht.
Andere umherziehende Flüchtlinge haben wir damals selten gesehen. Wir verließen die Gleise und wechselten in Richtung Osten, zum Feldweg am Gut vorbei in Richtung Praustfelder Siedlung. Hier war kaum etwas zerstört. Hier und da ein paar Granat- und Bombentrichter und entsprechende Schäden an Häusern. In den Siedlungsweg kamen wir nicht hinein. Hier gab es wieder eine militärische Sperrbarriere. Wir konnten also nicht zu unserem Einfamilienhaus. Hier waren noch Truppen stationiert. Wir zogen weiter und kamen auf Umwegen, die wir kannten da wir hier zu hause waren, zum Haus meiner Großeltern Franz Völz in der Müggenhaler Straße.
Gegenüber war das Kolonialwarengeschäft Grahl. Vorsichtig näherten wir uns diesem Straßenabschnitt. Teilweise waren Zäune nieder gerissen, Holzlatten waren immer ein beliebtes Brandmaterial. Es lagen Reste einer Geschützstellung herum. Leere Geschosskartuschen, anderer Kriegsschrott, Stangenpulverstäbe und überall Brandstellen.
Am großelterlichen Einfamilienhaus war gearbeitet worden und das machte uns nochmals stutzig.
Die großen Fenster zur Müggenhaler Straße waren verbrettert. Ich wurde vorgeschickt und auf dem zur Straße abgewandten Hof fand ich Opa Franz Völz. Abgemagert, etwas wackelig auf den Beinen. Aber die Freude war groß, uns nach vier Wochen wiedergefunden hatten. Das Haus der Großeltern hatte keine Beschädigungen, ausser die zerstörten Fensterscheiben, wahrscheinlich durch die Artillerieabschüsse vor der Tür.
Großvater hatte mit Brettern, die er noch im Stallboden lagerte, die Fenster zugenagelt und eine kleine Glasscheibe eingesetzt.
Die braune Haustür, mit dem Klingeldrehknopf, war in Ordnung. und ließ sich sogar noch verschließen. - Das Emailleschild mit dem Spruch:
Der Deutsche grüßt Heil Hitler war entfernt. Der hellere Fleck war noch erkennbar.-
Aber wir waren allein. Das nächste Truppenquartier war in der Praustfelder Siedlung. In der Straße wo unser Haus stand.
Vielleicht einen Tag später erschien in Großvaters Anwesen Tante Erna Lau mit ihrem Sohn Heinz. Georg Lau, Mutters Bruder, war zum Kriegsende noch eingezogen worden. Sie blieb bei uns, denn der Weg zu Ihrem Wohnort Scharfenberg an der Mottlau, in der Danziger Niederung war noch militärisch gersperrt. Ihr Sohn Hartmut war bei seiner Großmutter in der Kaschubei. Tante Erna war Kaschubin und konnte polnisch und das war dann später von Vorteil.
Es fanden sich auch noch andere Leute aus der Nachbarschaft ein.
Von denen kannte ich nur das alte Ehepaar Geffe.
Großvater hatte vor der Innenseite der Haustür einen Querbalken als Riegel eingebaut und so wurde das Haus versperrt. Licht war keines vorhanden, Das Klo war über den Hof erreichbar.
Nachts gingen alle auf den Eimer. Das Einfamilienhaus war klein.
Es hatte nur eine große Wohnküche und zwei Zimmer im Erdgeschoß.
In der ersten Nacht blieb alles ruhig und es gab etwas Ruhe nach dem vier Wochen langen Herumziehen von Danzig, über Oliva nach Praust.
Das Nachtlager im Hause Franz Völz war voll besetzt. Ich schlief auf einem Sofa direkt mit dem Gesicht zu der kleinen Fensterscheibe. Auf dem Fußboden lagen Frauen, Kinder und Alte in einer Reihe nebeneinander. Es war die erste Nacht in der ich tief geschlafen habe. Aber die Kleidung zogen wir nicht aus, um wenn nötig jederzeit flüchten zu können. Über Tag zog ich dann mit meinem Vetter Heinz los und wir interessierten uns vorallem für das gegenüberliegende Geschäft Grahl. Das kleine Schaufenster mit der daneben liegenden Ladentür war herausgeschlagen.
Der Ladenraum war offen und verwüstet. In der Raummitte war ein Platz freigeräumt und es lagen noch Drähte herum.
Warscheinlich ein Komandostand der Arttilleriestellungen vor der Tür auf der Straße und dem Umfeld. Von früher wusste ich von einer Luke im Holzfußboden des Ladens. Wir schoben den Dreck, auch Reste von Kothaufen, beiseite und fanden die Luke.
Sie wurde hochgehoben und vom Rand ging eine Holzstiege hinab.
Der Keller war sehr niedrig und bis an den Einstieg mit Resten der Ladeneinrichtung gefüllt. Wir haben längere Zeit, mehrere Tage, an unserer Schatzgrube gearbeitet. Sie immer wieder auf der Luke mit Abfall zugedeckt. Und den Lukendeckel auch wenn wir da unten waren. Wir haben viele Lebensmittelreste gefunden. Aufgerissene Tüten mit Resten von Mehl, Gries, Graupen, Erbsen, Bohnen, Malzkaffe, sowie Kleinpäckchen mit Backpulver, Gewürzen usw. Die Lebensmittel lagen teilweise durcheinander, so wie sie im Kampfgetümmel wahrscheinlich in die Kellerluke geschoben worden sind. Teilweise lagen unten auch einige Ladenschubladen und andere sperrige Teile, vermengt mit Papier.
Ratten
und Mäuse waren auch schon da. Das Holz der Theken und Regale war
sicher als Brennholz verwendet worden. Wie wir es auch immer schon in den vergangenen vier Wochen gesehen hatten. Die Soldaten der Roten Armee kochten immer im Freien am Lagerfeuer.
Auch Überreste von Kalkseifen und Persil und Ata. Auch ein Faß mit Sauerkohl konnten wir freilegen, aber leider war es geöffnet und obendrauf verschissen. Es stank füchterlich und war so leider unbrauchbar.
Der noch zu verwendende Teil wurde nach Hause zu Großvaters Haus geschafft und dort verteilt und sortiert. - Die Kaffeegerstenkörner oder Erbsen aus dem Rest Mehl usw. - Alles wurde sorgfältig versteckt.
z.B. auf dem Dachboden unter aufgenommenen Dielen usw.
Über Tag stöberten auch noch überall Russen herum. Sie kamen aus der noch besetzten Praustfelder Siedlung. Und wir entdeckten später, es waren die Häuser als Lazarett genutzt. Der Anteil an verbundenen Soldaten fiel auch auf.
Auf Großvaters Hof kamen zwei Soldaten mit spitzen Rundeisenstangen und stocherten in einem Seitenschuppen, der keinen befestigten Boden hatte, in der Erde herum. Sie suchten nach vergrabenen Wertgegenständen. Das hatten wir auch schon früher in Oliva gesehen.
Aber sie fanden dort in dem Schuppen nichts. Erst Wochen später, als unser Opa an Ruhr schwer erkrank war, bekam ich zur Kenntnis, daß ein Versteck in der Waschküche war.
In dem Stallgebäude gegenüber dem Wohnhaus, war auf der rechten Seite die Waschküche mit geglätteten Betonboden. Neben dem Eingang vom Hof war eine Holzeinstiegsluke zu einem Keller. Diese Luke hatte Großvater mit Sand abgedeckt und der Zugang ist wie durch ein Wunder nicht entdeckt worden. Über den Inhalt des Versteckes erfuhr ich erst später, nach der Öffnung ca. Ende Juni 1945, als die Zuwanderung der Polen in vollem Gange war.
In der zweiten Nacht brach dann die Hölle los.
Wir waren entdeckt und bekamen in der Nacht Besuch von den Russen und Mongolen. Denn diese hatten wir auch am Tage schon gesehen.
Wir waren in dieser Gegend des Ortes Praust die Ersten, der wieder heimkehrenden Zivilisten. Denn wie schon berichtet, wurden immer alle aus dem Frontbereich vertrieben, bzw. verzogen sie sich aus Gründen der Bedrägnis und städigen Filzung.
Ich lag auf meinem Sofa mit dem Gesicht zur kleinen Fensterscheibe und war eingeschlafen. An der Haustür wurde gepoltert. Großvater hatte sie wieder verrammelt und sie war fest verschlossen. Russiche Flüche vor dem Haus. Alle im Hause wurden wach. Plötzlich hörte man an den vernagelten Fenstern Stimmen und die Scheibe wurde eingeschlagen. Mit ihren surrenden Dynamotaschenlampen leuchteten sie genau in mein Gesicht. Ich ließ mich vom Sofa herunterrollen und verkroch mich darunter. Es war kaum Platz darunter, aber als schlanker Junge paßte ich gerade unter dieses etwas hochbeinige Gestell.
An der Haustür wurde schon mit Gewalt herumgeschlagen. Großvater ist dann zur Tür gegangen und hat den inneren Riegelbalken geöffnet.
Die Meute kam mit Getöse und fluchend herein. Unseren Opa haben sie nieder geschlagen und das Schlaflager füllte sich mit Soldatenstiefeln.
Frauen und Kinder schrien und heulten. Die Dynamotaschenlampen surrten. Ich hatte meinen Beobachtungsplatz unterm Sofa starr vor Schreck und Angst nicht verlassen und mich ganz an die Wand gedrückt.
Die Kinder hingen an ihren Müttern und schrien kreischend. Sie wurden weggestoßen, fielen zu Boden . Es stank nach Machorka und Fusel.
Die Frauen wurden gepakt, zu Boden gedrückt und ihnen die Kleider vom Leibe gerissen. Es flogen Stoffetzen auf dem Boden herum.
Die Zahl der eingedrungenen Soldaten muß groß gewesen sein, denn der Raum war überfüllt. Ich blieb unbehelligt, denn sie alle waren mit den Frauen beschäftigt, sie zu halten und sich auf sie zu stürzen. Es wurde auch gegen die Decke geschossen um einzuschüchtern und das Geschreie zu bremsen.
Alte flohen teilweise mit Kindern. - Hatte ich in Oliva diese entsetzlichen Schreie, das Gejammer und Schüsse aus der Entfernung, in Nachbarräumen vernommen, so fand es hier vor meinen Augen statt. Im schwachen Licht der surrenden Taschenlampen konnte ich keine Details sehen. Natürlich weiße nackte Haut der geschändeten Frauen und Soldaten die sich auf den gequält stöhnenden Frauen wälzten. Und das mehrere hintereinander, denn wie lange das gedauert hat war nicht klar, eine oder zwei Stunden ?
Die Frauen hatten sich mit Asche alt gemacht und mit Tüchern verkleidet.
Das machten sie in jenen Wochen schon immer so. Aber die Sieger fanden es doch heraus. Meine Mutter hat mit meinen beiden damals achtjährigen Schwestern in dem Durcheinander der Menge flüchten können. Aber meine Tante Erna nicht, ihr polnisch hat hier nicht geholfen.
Auch ein dreizehnjähriges Mädchen war unter den Opfern, wie ich am Morgen erfuhr. Nach einer ewig dauernden Zeit war der Spuk vorüber.
Alle die nicht gepackt und vergewaltigt wurden, waren gleich geflohen.
Die betrunkene Horde hatte sich nach dieser Gewaltorgie verzogen.
Ich lag im Dunkeln zitternd unterm Sofa. Im Dunkeln wimmerten noch Frauen. Und plötzlich lößte sich meine Spannung und ich lief fort zum gegenüberliegenden Hause Grahl, dort habe ich mich bis zum Morgen versteckt. Im Morgengrauen schlich ich zum Haus zurück, alles war ruhig und ich traf auf meinen Opa der einige Schrammen im Gesicht hatte.
Auch Oma war wieder da. Nicht alle fanden sich wieder ein. Denn für Frauen im vergewaltigungsfähigen Alter war dieses Quartier nicht mehr zu gebrauchen. Andere Verstecke wurden gesucht. Aber Schüsse, russische Flüche und Schreie in den Nächten hat es noch öfter gegeben.